Das wunde Leder - Stefan Gmünder, Klaus Zeyringer

Das wunde Leder - Stefan Gmünder, Klaus Zeyringer

Während ich diese Zeilen schreibe, läuft gerade die UEFA Europameisterschaft. Seit vielen Jahren schaue ich Turniere der Nationalmannschaften im Fernsehen gerne, doch von Mal zu Mal wird ein diffuses Unbehagen stärker. Im Jahr 2021 dicht auf dicht stehende StadionbesucherInnen im Fernsehen zu sehen, erscheint im direkten Kontrast zum kontaktbeschränkten Alltag in der Pandemie sehr fremd. Noch dazu ein Turnier über den ganzen Kontinent, wenn die Grenzen doch eigentlich geschlossen sind. Heute Sevilla, morgen München und übermorgen Baku. Überhaupt, Baku...warum wird in einem Land gespielt, dessen fußballerische Qualität nicht ansatzweise zur Turnierteilnahme ausreicht?

Wie sich das Profifußballgeschäft sich vom Fußball als Sport entfernt hat, zeigen Stefan Gmünder und Klaus Zeyringer in "Das wunde Leder" eindrücklich.

Das Buch steigt in den 1960er-Jahren mit Uwe Seeler in den modernen Fußball ein. Hier verdiente ein Fußballprofi noch etwa das dreifache eines durchschnittlichen Arbeiters und die gesamte Karriere bei einem Verein zu verbringen war nichts Ungewöhnliches. Fußball war eine von gemeinnützigen Organisationen wie dem DFB organisierte Sportart, die in Vereinen ausgeübt wurde.

Doch mit dem Einzug des Fernsehens erkannten findige Geschäftsleute das ungeheure monetäre Potenzial der Vermarktung der Sportart. Pioniere hierbei waren die Sportartikelhersteller Nike und Adidas, später folgten Konzerne wie Coca-Cola, Daimler und viele weitere. Profifußball wurde zunehmend den Gesetzen von Märkten unterworfen. Fernsehbilder wurden durch die Erfindung von Übertragungsrechten zur handelbaren Ware. Merchandiseartikel wie Kleidung, Sticker füllten die Kassen von Fußballklubs, die inzwischen nur noch einen Bruchteil ihrer Einnahmen aus Ticketverkäufen und Mitgliedsbeiträgen ihrer Mitglieder erzielen. Aus Fußballfans wurden durch diese Entwicklungen Fußballkonsumenten. Initiiert, überwacht und organisiert wird alles durch die großen Fußballverbände, die nach wie vor als gemeinnützige Organisationen diverse Steuervergünstigungen besitzen und die immer weiter steigenden Gewinne des Geschäftsfeldes Fußball unter sich aufteilen können. Der globale Verband FIFA konnte dadurch zu einem Akteur werden, der Staaten nach Belieben die Bedingungen diktieren kann, zu denen ein Fußballturnier stattfindet. In den Stadien gelten die Hoheitsrechte der FIFA. Sogar lokale Gesetze werden entsprechend angepasst und beispielsweise Arbeitsschutzvorschriften aufgehoben.

Am Ende bleiben die gastgebenden Staaten mit gebrochenen Aufschwungsversprechen auf ihren verrottenden Stadien sitzen.

All das ist nicht neu und kann in Büchern wie den "Football Leaks" nachgelesen werden. Als eine hervorragende Einführung in die Kritik am neoliberalen Profisport eignet sich "Das wunde Leder" aber vorzüglich. Es ist leicht zu lesen, aber bisweilen durchaus drastisch formuliert. So wird die FIFA als ein mafiös organisierter Konzern beschrieben, der völlig unkontrolliert und ungestraft riesige Gewinne durch Korruption, Vetternwirtschaft und Ausbeutung anhäuft. Hierbei handelt es sich jedoch nicht nur um einen Einzelfall, die Autoren beschreiben ähnliche Strukturen in der Organisation von Olympischen Spielen. Bei einem Umgang von knapp 120 Seiten geht das jedoch zu selten in die Tiefe. So widmen die Autoren lediglich 9 Seiten dem Transfermarkt für Fußballspieler mit seinen immer absurder werdenden Geldverschiebungen. Auch fehlt im gesamten Buch ein Hinweis auf den Frauenfußball, die sportliche Konfliktlinie wird zwischen männlichen Amateuren und Profis gezogen.

Das Buch endet mit einem Boykottaufruf für die Fußball WM 2018 in Russland. Das geht leider 3 Jahre später nicht mehr. Hier wäre ein zeitloseres Ende angebrachter gewesen, denn an den beschriebenen Missständen hat sich auch im Jahr 2021 nichts geändert.

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